Harald A. Summa + virtuelle Konferenzen und Kongresse

Virtuelle Konferenzen als Chance für Teilhabe

In Zeiten von Corona und Social Distancing fallen Veranstaltungen aus. Auch Konferenzen sind betroffen. Aber nicht alle Veranstalter sagen ihre Events ab oder verschieben sie, einige ziehen ihr Programm virtuell durch. In der IT-Branche sind das etwa die Kölner Spielemesse Gamescom, die Open-Source-Konferenz FrOSCon oder die Re:publica. Ein Ersatz für die Teilnahme vor Ort ist das Erlebnis am Bildschirm nicht, womöglich entsteht daraus aber etwas Neues.

Klar ist: Den größten Verlust erleiden nicht die Teilnehmer, sondern alle diejenigen, die mithelfen. Die Caterer, die Leute vom Licht, vom Ton, von der Saaltechnik. Die Pächter von Locations, die jetzt leere Räume verwalten müssen. Für sie ist der Verlust von Vor-Ort-Events schwer zu kompensieren, denn was sie erbringen, sind greifbare Dienstleistungen, für die im virtuellen Raum oft kein Bedarf besteht.

Den echten Kontakt kann keine digitale Konferenz ersetzen

Als Verlust dürften den Ausfall auch viele Personen empfinden, die gerne als leiblich anwesende Personen teilgenommen hätten. Für sie finden die Konferenzen jetzt „nur“ virtuell statt. Das Bedauern kann ich nachvollziehen, wie wahrscheinlich jeder, dessen Kollegen aus Fleisch und Blut in diesen Wochen der Telearbeit zu eindimensionalen Bewegtbildern geworden sind. Den echten Kontakt in einem echten Raum kann auch die beste digitale Konferenz nicht ersetzen.

Zumal bei Konferenzen der ursprünglich wichtigste Gedanke — dass ein Wissenstransfer stattfinde —in der digitalen und global vernetzten Welt immer mehr zur Nebensache wird. Für das Fachpublikum sind die Vortragenden oft gute Bekannte, die präsentierten Fakten selten neu. Wer einfach nur wissen will, was gesagt wird, muss nicht persönlich vor Ort erscheinen. Das geht in der Regel schneller und effizienter am eigenen Schreibtisch. Und wer wissen will, wie souverän die Vortragenden ihren Auftritt gemeistert haben, kann sich hinterher immer noch die Aufzeichnung anschauen.

Wenn es nicht primär um Wissenstransfer geht, rücken andere Gründe in den Vordergrund. Es ist ein bisschen wie im Fußballstadion. Den bequemeren Platz, das bessere Bild und vielleicht sogar den ausgewogeneren Kommentar gibt es zu Hause am Bildschirm. Aber wer im Stadion dabei ist, schaut sich das Spektakel nicht nur an, sondern ist Teil davon. Und weit mehr noch als im Fußball darf der Teilnehmer einer Konferenz davon ausgehen, das Ergebnis zu beeinflussen. Oder ein für sich vorteilhaftes Spiel überhaupt erst anzustoßen.

Abgefilmte Vorträge sind auch nur Frontalunterricht

Kurz: Bei Konferenzen geht es nicht ums Konsumieren, sondern ums Dabeisein und Mitmachen. Und so sehr ich TED Talks und all die anderen hochwertigen Formate schätze, mit denen kluge Menschen ihre Gedanken mit der Welt teilen möchten: In der Regel handelt es sich dabei um abgefilmte Vorträge. Frontalunterricht.

Jetzt haben wir die Chance, das zu ändern. Mit der nun aus der Not geborenen Verlagerung von Konferenzen ins Virtuelle machen sich viele Veranstalter darüber Gedanken, wie sie das Informelle, das Interaktive, das im Programm oft unscheinbar unter „Fingerfood & Networking“ Abgehakte, herausstellen können.

Ich bin sehr gespannt, wie das beispielsweise der Re:Publica gelingt, die nun in verschlankter Version zunächst online stattfinden soll. Der Community-Gedanke war bei dieser Veranstaltung von Anfang an ausschlaggebend, kaum ein Event legt mehr Wert auf Gemeinschaft und Teilhabe. So ist es folgerichtig, dass die Veranstalter nun angekündigt haben, ihren legendären Innenhof ins Virtuelle zu übersetzen.

Ich hoffe, das gelingt. Wenn ja, steht diese Art Veranstaltung künftig auch Personen offen, die bislang leider nicht dabei sein konnten. Das teilnehmende Publikum wäre potenziell deutlich größer als vor Corona. Eine Erfolg, von dem die gesamte Branche profitieren könnte.

Foto © nortonrsx | istockphoto.com

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