Souverän über digitale Handelswege entscheiden
Handelswege gehören zu den Themen, über die meist nur dann gesprochen wird, wenn sie unterbrochen werden. Das Internet als Handelsweg scheint aufgrund seiner dezentralen Organisation sicher vor Ausfällen. Wer Abhängigkeit vermeiden will, sollte dennoch in eine eigene, digitale Infrastruktur investieren.
Alles. Immer. Sofort. Ob es zuerst verlangt wurde oder versprochen? Ob es überhaupt erreichbar ist? Das ist nachrangig. Was zählt ist: Die globale, die digitale Wirtschaft, der Wettbewerb unter den modernsten Unternehmen orientiert sich an diesen drei Worten. Alle Wünsche, so sie in Form von Produkten und Dienstleistungen daherkommen, mögen bitteschön immer und unverzüglich erfüllbar sein.
Darüber nachzudenken, ob die sofortige Erfüllung von Wünschen für den Einzelnen oder für die Weltbevölkerung sinnvoll ist, überlasse ich anderen. Wilhelm Busch beispielsweise – „Ein jeder Wunsch, wenn er erfüllt, kriegt augenblicklich Junge“ – hatte seine Zweifel. Ich möchte stattdessen der Frage nachgehen, wie sehr wir uns mit dem Ziel „alles immer sofort“ auf das Funktionieren unserer Handelswege verlassen – und wie wir uns, was unsere digitale Welt betrifft, handlungsfähig bleiben.
Handelswege? Sind ein Thema, das nicht oft für Schlagzeilen sorgt, was in der Regel ein gutes Zeichen ist, ein Zeichen dafür, dass sie funktionieren. Damit aus dem Verbraucher, der an der Wohnungstür ein Paket annimmt oder dem User, der am Computer mit dem Erzeugen von Daten sein Auskommen findet, ein Bürger wird, der sich über das Funktionieren seiner Handelswege sorgt, muss schon etwas passieren: Eine geostrategische Auseinandersetzung um eine Pipeline, die heiß läuft oder ein Containerschiff, das einen Kanal blockiert, um zwei Beispiele aus der analogen Welt zu nennen.
Wer weiß, auf welchem Weg Daten von A nach B reisen?
Und in der digitalen Welt? Ist das Interesse für Handelswege noch mal um einiges geringer ausgeprägt. Daten sind schließlich flexibel. Auf welchem Weg ein Datenpaket von A nach B reist, interessiert kaum jemanden: Einem Datenpäckchen dabei zuzusehen, wie es erst elektronisch angekündigt wird, dann erst vom Start- ins Zielpaketzentrum und weiter ins virtuelle Zustellfahrzeug wandert, um sich dann auf unbestimmte Zeit „in Zustellung“ zu befinden, gehört nicht zu unserem digitalen Alltag.
Und selbst wenn sich jemand dafür interessiert, auf welchem Weg Daten reisen: Wer weiß das schon? Das Internet ist schließlich eine dezentrale Angelegenheit. Vielleicht kommt das Datenpaket auf dem Weg von Hannover nach Dallas in Frankfurt vorbei, vielleicht aber auch in Amsterdam. Womöglich auch in Frankfurt und Amsterdam? Wie auch immer die Route, ankommen tut das Paket doch immer und wenn in Frankfurt der Strom ausfällt, deswegen hat man das Internet ja überhaupt erst erfunden, bleiben immer noch London, Paris, Zürich und unzählige andere Knotenpunkte im weltweiten Netz. So etwas wie einen querliegendes Containerschiff, das auf einen Schlag große Teile des Welthandels blockiert? Im Internet undenkbar.
Wer sich nicht selbst kümmert, ist abhängig
Außerdem gibt es ja die Cloud und wenn die Cloud eines geschafft hat, dann das in der analogen Welt nie ganz erreichbare Versprechen von „Alles immer überall“ wahr werden zu lassen und das erst noch zu einem unverschämt günstigen Preis. Warum sich also über den Weg von Daten von A nach B, warum sich über digitale Handelswege Sorgen machen?
Weil das Internet eben kein weltweites Netz ist, sondern ein Netz der Netze. Damit es funktioniert, braucht es eine Menge digitaler Infrastruktur und diese digitale Infrastruktur gehört nicht niemandem. Sie gehört auch nicht allen. Sie gehört einzelnen Akteuren. Dass einzelne Akteure über Partikularinteressen verfügen und dass das Verfolgen von Partikularinteressen nicht immer gut ausgeht, darauf muss im Jahr 2021 niemand hingewiesen werden.
In der digitalen Welt ist es wie in der analogen. Wer sich nicht selbst um seine Handelswege kümmert, begibt sich in Abhängigkeit anderer. Das gilt nicht nur für diejenigen, die alles immer und überall wollen. Es gilt auch für alle, die sich mit weniger zufrieden geben. Die einfach nur souverän und handlungsfähig bleiben wollen. Bürger, Unternehmen und Staaten, denen dieses Minimum an Autonomie wichtig ist, sind daher gut beraten, sich rechtzeitig um eine ausreichend dimensionierte, unabhängige und einsatzfähige digital Infrastruktur zu kümmern, wie sie beispielsweise GAIA-X verspricht.
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