Harald A. Summa + Überwachung

„Wenn ihnen Überwachung so gut gefällt…“

Welche Macht haben eigentlich noch normale Leute? Das war die letzte Frage, die im Raum stand und noch bevor ich die Antwort hörte, ahnte ich, dass es wieder einmal zugehen würde wie beim Fußball. Podiumsdiskussionen sind dem Fußball nämlich insofern nicht unähnlich, als dass es bei beidem oft erst in der Nachspielzeit richtig spannend wird und das ganz egal, ob in der Kreisliga, in der Champions League oder beim World Economic Forum.

Ich war leider selbst nicht in Davos dabei, habe mir aber das Gespräch zwischen dem Historiker Yuval Noah Harari und dem CEO von Huawei Ren Zhengfei, moderiert von Zanny Minton Beddoes, die beim Economist als Editor-in-Chief tätig ist, im Internet angesehen.

Wenn Sie es nicht selbst anschauen wollen, hier meine Zusammenfassung: Das Gespräch war über 30 Minuten angesetzt und über ziemlich genau 30 Minuten lief es auch recht vorhersehbar. Wenn Sie die Bücher von Harari kennen, sind Sie mit seinen grundlegenden Thesen vertraut: Als Historiker denkt Harari in etwas größeren zeitlichen Dimensionen, sein Denken beginnt irgendwo in der Steinzeit und reicht weiter in die Zukunft als bei vielen anderen von uns. 

Den Menschen hacken?

Wir denken vielleicht nur bis zum nächsten Quartalsbericht, der nächsten Wahl oder der eigenen Rente. Harari denkt in Zeitaltern – und warnt uns vor einer möglichen Zukunft, in der Unternehmen oder Regierungen mehr über die Menschen wissen, als die über sich selbst. Für Harari befinden wir uns mitten in einem Wettrüsten zwischen Beijing und San Francisco. Das Ziel: den Menschen hacken.

Zhengfei nahm eine deutlich optimistischere Haltung, oder genauer gesagt zurückhaltendere ein. Wirklich in die Karten schauen, ließ er sich nicht. Für ihn zeige der Blick zurück in die Geschichte, dass die Menschheit neue Technologien schon immer für ihre Zwecke zu nutzen gewusst habe. Die Mehrheit aller Menschen einer Gesellschaft wollten ein besseres Leben. Den von Harari beschriebenen Konflikt zwischen den USA und China nehme er so nicht wahr, vielmehr sollten die USA stolz darauf sein, dass Huawei nach amerikanischem Vorbild strukturiert sei. Zudem, so Zhengfei, sei die KI-Forschung auf absehbare Zeit nicht soweit, das Hacken von Menschen wie von Harari dargelegt zu ermöglichen.

Bauen Sie einen Virenschutz für das Gehirn

Soweit, so erwartbar. Dann, die Zeit war eigentlich schon um, kam eben jene Frage aus dem Publikum. Gestellt wurde sie übrigens von einer Teilnehmerin, die zu meiner großen Freude nach eigener Auskunft über einen soliden Hintergrund in der IT-Security zu verfügen scheint. „In einer Welt, in der große Unternehmen und Regierungen so viel Macht haben, dass sie in der Lage sind, das Leben von Konsumenten zu gestalten: Welche Macht haben da eigentlich noch normale Leute?“

Hararis Antwort darauf möchte ich gerne vollständig zitieren: 

„Technologie funktioniert in beide Richtungen. Um einzuschränken – und um individuelle Fähigkeiten zu verbessern. Und was Individuen tun können, ganz besonders Techniker, ganz besonders Ingenieure, ist, andere Technologien zu entwickeln. Zum Beispiel wird jetzt viel Aufwand betrieben, um Überwachungstools zu entwickeln, die Individuen überwachen zum Vorteil von Unternehmen und Regierungen. Aber wir, einige von uns, können uns dazu entschließen, Technologien zu entwickeln, die das Gegenteil tun. Technologie ist neutral. Sie können ein Tool entwickeln, das die Regierung und die großen Unternehmen zum Vorteil der Individuen überwacht. Wenn ihnen Überwachung so gut gefällt, haben sie ja bestimmt nichts dagegen, dass die Bürger sie überwachen. Wenn Sie Ingenieurin sind, bauen Sie doch ein Tool, das Korruption in der Regierung überwacht. Oder wie beim Virenschutz für Computer: Bauen Sie einen Virenschutz für das Gehirn, eine Technologie, die Sie warnt, wenn jemand Sie manipulieren will. Es liegt an Ihnen.“

Yuval Noah Harari

Es liegt an Ihnen! Eine, wie Beddoes sagte, zuversichtliche Schlussnote, der ich mich mit einen Angebot anschließen möchte: Wenn die Person, die in Davos die abschließende Frage gestellt hat, mit mir über die Zukunft der Digitalisierung – und darüber, wie wir sie gemeinsam so gestalten, dass sie den Menschen dient – sprechen will: Bitte einfach melden …

Foto © ValeryBrozhinsky | istockphoto.com

Harald A. Summa + Die Digitalisierung wartet nicht auf vulnerable Gruppen
Die Digitalisierung wartet nicht auf vulnerable Gruppen
26. Mai 2021
Harald A. Summa + Die digitale Infrastruktur braucht viel Energie – gleichzeitig kann sie sparen helfen
Die digitale Infrastruktur braucht viel Energie – gleichzeitig kann sie sparen helfen
4. Februar 2022
Harald A. Summa +Günstig heizen mit Abwärme von Rechenzentren
Günstig heizen mit Abwärme von Rechenzentren
28. Februar 2022