Harald A. Summa + Die Digitalisierung wartet nicht auf vulnerable Gruppen

Die Digitalisierung wartet nicht auf vulnerable Gruppen

Die vulnerablen Bevölkerungsgruppen zuerst zu schützen, ist bei der Impfkampagne zur Bekämpfung der Corona-Pandemie das leitende Prinzip: Diejenigen, die von einer Infektion am schwersten getroffen werden, bevorzugt zu schützen, gilt weiten Teilen der Gesellschaft als gerecht. Die Digitalisierung jedoch wartet auch während einer Pandemie auf niemanden.

Was genau ist eigentlich Menschenwürde? So wichtig der Begriff für unser Grundgesetze, so wenig konkret ist er. Kein Wunder, dass er gerne instrumentalisiert und je nach Anliegen mal so und mal so ausgelegt wird. Einen gemeinsamen Nenner gibt es jedoch: Kein Leben ist mehr wert als ein anderes. Wird die Impfreihenfolge in Deutschland und vielen weiteren europäischen Ländern nach der Wahrscheinlichkeit eines schweren Verlaufs festgelegt und nicht nach wirtschaftlicher Potenz, ist das Ausdruck eines Verständnisses der Unantastbarkeit der Menschenwürde.

Gerecht ist es, die Schwachen zuerst zu schützen: Diese Haltung ist tief in der Gesellschaft verwurzelt. Dennoch ist, was in der Pandemie aus medizinischer Sicht kaum jemand anzweifelt, in der Digitalisierung der Wirtschaft irrelevant. Hier kommen nicht die Schwachen zuerst zum Zug, sondern die Starken. „Die Pandemie vertieft die digitale Kluft und spielt Technologieführern in die Hände“, schreibt Accenture in einer aktuellen Studie.

Die Ergebnisse lassen keinen Zweifel daran aufkommen, wie schnell in Zeiten der Krise die digitale Kluft zunimmt. „Technologieführer verzeichnen heute einen fünfmal schneller wachsenden Umsatz als die Nachzügler. Zwischen 2015 und 2018 war ihr Wachstum doppelt so schnell. Die Folge: Zahlreiche Unternehmen wetteifern darum, sich neu zu erfinden und ihre gegenwärtige Situation mittels technologischer Innovationen zu gestalten.“

Ich finde das bemerkens- und bedenkenswert. Die digitalwirtschaftliche Realität in Zeiten der Pandemie nimmt keine Rücksicht auf die Schwachen. Man kann das bedauern. Man kann es aber auch als Realität anerkennen und versuchen, die Chancen zu nutzen. Denn die Digitalisierung ist keine Pandemie, sie bringt Fortschritt.

Verantwortung für die digitale Zukunft übernehmen

Anders als beim Impfen muss bei der Digitalisierung niemand auf seinen Termin warten. Es muss sich auch niemand aus Rücksicht zurückhalten: Mir jedenfalls ist von einer Debatte, in der Unternehmen vorgeworfen wird, als Digitalisierungsdrängler aufzutreten, jedenfalls nichts bekannt. Es wird sich aber auch niemand bei ihnen melden, und sie zur Digitalisierung einladen. Die Priorisierung findet nicht in Ethik- oder Impfkommissionen statt, sondern in den Unternehmen selbst.

Was zu tun ist, wissen die Technologieführer nicht nur, sie machen es auch schon ganz gut. Ihr Erfolgsgeheimnis unterliegt keinen Patenten, bei besagter Accenture-Studie beispielsweise ist frei zugänglich nachzulesen, wie Unternehmen „Technologien so gestalten und anwenden, dass diese sich positiv auf eine nachhaltigere und integrativere Welt auswirken.“

Ob Unternehmen jetzt die richtungweisenden Schritte unternehmen, damit sie in den kommenden Jahren selbst zu den Gewinnern der Digitalisierung gehören, entscheiden sie zu großen Teilen selbst, sogar in Zeiten einer globalen Krise. Es kommt auf einen Begriff an, der in den Anfangstagen der Pandemie häufig verwendet wurde und der meine ganz persönliche Haltung vielleicht am besten beschreibt: Eigenverantwortung.

Bild © ipopba | iStockphoto.com

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